Michael Verhoeven

Regisseur, Deutschland

 

Als einer der wenigen Regisseure seiner Generation schaffte es Verhoeven gleichermaßen im Kino wie im Fernsehen Zeichen zu setzen. Er kann alles, egal ob Komödie oder Drama, ob Dokumentar- oder Kinofilm. Immer war und ist er ganz nah dran am gesellschaftspolitischen Diskurs der Zeit. In den letzten fünf Jahrzehnten hat er Deutschland mit seinen Filmen den Spiegel vorgehalten. Nie marktschreierisch, nie auf den Effekt bedacht. Dafür immer ganz nah dran und empathisch mit seinen Heldinnen und Helden.  

Michael Verhoevens filmische Karriere startete in den 50er Jahren als jugendlicher Darsteller in Filmen wie »Das fliegende Klassenzimmer« oder auch »Der Pauker« mit Heinz Rühmann – einer Zeit, in der engagierte Filmkunst in Deutschland Mangelware war. Und er studierte dann lieber Medizin, arbeitete als Arzt, ehe er zum Kino zurückkehrte. Zusammen mit seiner Ehefrau Senta Berger gründete er die »Sentana Filmproduktion GmbH« und stand fortan als Regisseur hinter der Kamera. Mit seinem Anti-Vietnamkriegsfilm »o.k.« sorgte er für einen heftigen Eklat bei der Berlinale 1970, sodass der Wettbewerb ausgesetzt wurde. Und er schuf sich einen Namen als engagierter Filmemacher mit den Polit-Dramen »Die weiße Rose« über die Tragödie der Geschwister Scholl und mit »Das schreckliche Mädchen« über eine junge bayerische Rebellin und deren provinzielle Ächtung als »Nestbeschmutzerin«. Der Film “Das schreckliche Mädchen” erhielt eine Oscarnominierung.

Es folgten Dokumentarfilme wie »Der unbekannte Soldat« über die Reaktionen gegen die desillusionierende Wehrmachtsausstellung. Für den großen Kino- und Kritikerfolg  »Willkommen bei den Hartmanns«, den sein Sohn Simon als Regisseur drehte, trat er als Produzent auf. Michael Verhoeven steht für unbeirrbar grenzüberschreitende, engagierte Filmkunst mit stets gesellschaftspolitischem, kritischem Blick auf die deutsche Vergangenheit wie auch Gegenwart.

Michael Verhoeven wird den Ehrenpreis am Eröffnungsabend entgegen nehmen.

 


 

Blättern wir ins Jahr 1970 zurück. Das Internationale Film Festival von Berlin hatte den Film eines noch wenig bekannten jungen Regisseurs in den Wettbewerb eingeladen, "o.k." von Michael Verhoeven. Vier Soldaten vergewaltigen und ermorden eine junge Frau. Der Vorfall, auf den sich der Film bezog, lag vier Jahre zurück und wurde vom Krieg in Vietnam berichtet. "o.k." erzählte also von GIs, die eine junge Vietnamesin misshandelten und umbrachten (Eva Mattes spielte, auch sie am Beginn ihrer Karriere).

Der Präsident der internationalen Jury, damals in Berlin, war ein amerikanischer Filmemacher, George Stevens. Er sah den Film als anti-amerikanische Propaganda. Was er ja auch war. Er fügte sich ein in die Vietnam-Demonstrationen der deutschen und europäischen Intellektuellen der 60er Jahre. Stevens und die amerikanische Delegation bestanden darauf, "o.k." aus dem Wettbewerb zu nehmen. Andere Regisseure solidarisierten sich mit Michael Verhoeven und zogen ihre Filme aus dem Wettbewerb zurück. Stevens, und mit ihm die gesamte Jury traten zurück. Das Festival endete im Chaos und wurde abgebrochen.

(Der Autor dieser Zeilen sah 1970 die Berliner Vorführung von "o.k." als Mitglied einer anderen Jury, der Jury der internationalen Filmkritik FIPRESCI. Es war seine erste Jury. Sie löste sich ebenfalls auf.)

Michael Verhoeven hatte schon vor "o.k." Erfahrungen mit dem Kino gemacht. Er wurde 1938 in Berlin in einer Theater- und Film-Familie geboren. Seine Mutter war Schauspielerin, sein Vater war Schauspieler und Theater- und Film-Regisseur. Bereits als Kind ging er in ein Film-Studio.

Er bekam Rollen im deutschen Unterhaltungsfilm der 50er und beginnenden 60er Jahre, in "Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker" (1958), "Das Haus in Montevideo" (1963). Er konnte von den besten Schauspieler-Regisseuren der Zeit lernen, Kurt Hoffmann, Helmut Käutner, dem Franzosen Julien Duvivier, oder Paul Verhoeven, seinem Vater. Später, in seinen eigenen Filmen, ist es immer ein Vergnügen zu sehen, wie hervorragend, wie genau, wie liebevoll er mit Schauspieler/innen umgeht.

Seinen ersten Film als Regisseur drehte er 1967, die Strindberg-Adaption "Paarungen" ("Totentanz", über eine Ehe als Hölle). Produziert wurde der Film von Michael Verhoeven – und von Senta Berger. Die beiden hatten 1966 geheiratet. Sie hatten die Firma "Sentana Filmproduktion" gegründet. Es gibt sie bis heute, das Beispiel einer außergewöhnlichen Zusammenarbeit beim Filmemachen (und im Leben) über Jahrzehnte hinweg. Über Sentana liefen viele Projekte der beiden, darunter Filme, die fürs Fernsehen entstanden, wie die Serie "Die schnelle Gerdi" über den Alltag einer Münchner Taxi-Fahrerin (sechs Folgen 1989, gefolgt von sechs weiteren Folgen 2003). Auch die beiden Söhne wurden in der Firma für eigene Projekte betreut, Simon (Regie) und Luca (Produktion).

Parallel zu seinen filmischen Projekten schloss Michael Verhoeven eine Ausbildung in einem ganz anderen Beruf ab. Er wurde Arzt (1969), übte den Beruf auch aus. "Ich habe nie bereut, dass ich ein Doppelleben führen konnte". Er tat es. Aber das ist eine andere Geschichte. Obwohl zu beiden Berufen ein soziales Interesse gehört, eine Lust an der Wirklichkeit, ein Impuls, den Menschen helfen zu wollen, mit Pillen oder durch Geschichten.

Michael Verhoeven wurde ein "politischer Regisseur" genannt. Mag sein. "Die weiße Rose" (1982) war der wahrscheinlich erste Film über die Geschwister Scholl. Er entstand zu einer Zeit, als eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit noch keineswegs an der Tagesordnung war. "Das schreckliche Mädchen" (1989, nominiert für einen Oscar) erzählt von einer Schülerin, die die Rolle ihrer Heimatstadt (Passau) im Dritten Reich untersucht, nicht eben zur Freude der Einwohner. Die Beschäftigung mit dem Dritten Reich, dem Nationalsozialismus, seinen Folgen zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk. Das betrifft auch seine dokumentarische Arbeit, etwa den Film "Der unbekannte Soldat" (2006), der aus Anlass einer "Wehrmachtsausstellung" die Verbrechen von Hitlers Wehrmacht recherchierte.

Es sind die politischen Themen unserer Tage, die ihn provozieren. Er macht sie stets auf eine sensible Weise an Menschen fest, an persönlichen Schicksalen, an denen, die unter politischen und gesellschaftlichen Umständen leiden. An den Opfern. Dabei sind es oft Frauen, die er in den Mittelpunkt seiner Filme rückt. So auch in einem seiner späteren, einem seiner schönsten Filme, "Mutters Courage" (1994/95). Michael Verhoeven erzählt die Geschichte einer unpolitischen Frau in politischen Zeiten. Der Film folgt einer autobiografischen Erzählung von George Tabori, über seine  Mutter, die 1944 auf wundersame Weise den Transport nach Auschwitz überlebte.

Die Rede müsste noch sein von seiner Lust am Dokumentarfilm; von seinen zahlreichen Arbeiten fürs Fernsehen (und fürs Theater); von seinen filmpolitischen Aktivitäten. Sowie von seinen zahllosen Auszeichnungen. Und von seiner Bescheidenheit, sich stets in den Dienst seiner Themen und Figuren zu stellen.

In Michael Verhoevens Filmen sind die besten Qualitäten des deutschen Films vereint.

Klaus Eder

Februar, 2023, München

FIPRESCI Generalsekretär 
Internationaler Verband der Filmkritik


 

Verhoeven begann seine Karriere als jugendlicher Darsteller in Filmen der 1950er Jahre (so in Das fliegende Klassenzimmer, Der Jugendrichter und Der Pauker mit Heinz Rühmann), entschloss sich aber dann, Medizin zu studieren, promovierte 1969 über Psychiatrische Maskierung von Gehirntumoren unter besonderer Berücksichtigung irreführender Befunde und arbeitete einige Jahre als Arzt, unter anderem in Boston, wohin er seiner Frau Senta Berger gefolgt war. Ende der 1960er Jahre gründete er gemeinsam mit ihr die "Sentana Filmproduktion GmbH" und begann, als Regisseur Filme zu drehen.[1]

Sein experimenteller Anti-Vietnam-Kriegsfilm o.k. sorgte als Wettbewerbsbeitrag bei der Berlinale 1970 für einen großen Skandal, der dazu führte, dass der Wettbewerb abgebrochen wurde und ohne Preisverleihung blieb.[2]

1982 verfilmte er die Geschichte der Geschwister Scholl in Die weiße Rose. Für seinen Film Das schreckliche Mädchen (1990) erhielt er eine Oscar-Nominierung als bester ausländischer Film. Diese beiden Filme und weitere, die sich mit der Geschichte des Dritten Reichs beschäftigen, sorgten dafür, dass Michael Verhoeven zu einem der wichtigsten politischen deutschen Filmregisseure wurde.

Dem Fernsehpublikum wurde er bekannt durch die Produktion der Serie Die schnelle Gerdi sowie der Fortsetzung Die schnelle Gerdi und die Hauptstadt.

Seit 1992 war Michael Verhoeven Eigentümer des Kino Toni am Antonplatz in Berlin, das er im Januar 2018 verkaufte. Nach langen Verhandlungen mit der Treuhand kaufte Verhoeven 1995 auch ein Gebäude im Stadtbezirk Prenzlauer Berg und errichtete in dem zuletzt leerstehenden Olympia-Filmtheater zusammen mit der Yorck Kino GmbH neue fünf Kinosäle des Filmtheater am Friedrichshain. Auch diese Immobilie hat er später verkauft.

Jeweils zusammen mit Senta Berger wurde er 1999 mit dem Bundesverdienstkreuz und 2002 mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet. 2005 erhielt Michael Verhoeven den Marion-Samuel-Preis.

Im Jahr 2000 drehte Verhoeven seinen ersten Dokumentarfilm: Der Fall Liebl – Ein Bayer in Togo, über einen Spätaussiedler, der sich mit der deutschen Bürokratie nicht auskannte und dem drohte, abgeschoben zu werden. 2006 erschien nach siebenjähriger Arbeit sein zweiter Dokumentarfilm Der unbekannte Soldat über Reaktionen zur Wehrmachtsausstellung.[3] In seinem 2008 erschienenen Dokumentarfilm Menschliches Versagen befasste sich Verhoeven mit der Frage, in welchem Ausmaß die deutsche Zivilbevölkerung von der Entziehung von jüdischem Vermögen in der NS-Zeit profitierte.[4] In seinem 2011 in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk entstandenen Dokumentarfilm Die zweite Hinrichtung – Amerika und die Todesstrafe befasst sich Verhoeven mit dem vermeintlichen Schwerverbrecher afroamerikanischer Herkunft Romell Broom und dessen Hinrichtung am 15. September 2009 in Lucasville, Ohio, die 18-mal misslang und schließlich abgebrochen wurde.

Michael Verhoeven war 2003 eines der Gründungsmitglieder der Deutschen Filmakademie.


 

Schauspiel

Kino:

1954      Das Fliegende Klassenzimmer

1955      Marianne

1955      Griff nach den Sternen

1958      Der Pauker

1960      Mit 17 weint man nicht

1960      Der Jugendrichter

1960      … und noch frech dazu!

1962      Ich kann nicht länger schweigen

1962      Wenn beide schuldig werden

1963      Das Haus in Montevideo

1963      Jack und Jenny

1964      Lausbubengeschichten

1966      Onkel Filser – Allerneueste Lausbubengeschichten

1970      o.k.

Fernsehen:

1965      Die fünfte Kolonne (Fernsehserie) – Folge: Blumen für Zimmer 19

1969      Der Kommissar – Dr. Meinhardts trauriges Ende

1971      Der Kommissar: Kellner Windeck

2004      René Deltgen – Der sanfte Rebell (Fernsehdokumentation; Zeitzeuge)

Regie

Kino:

1967      Paarungen (Drehbuch)

1969      Engelchen macht weiter – hoppe, hoppe Reiter

1969      Der Bettenstudent oder: Was mach’ ich mit den Mädchen?

1969      Tische (Kurzfilm)

1970      Strandkörbe (unvollendet)

1971      Bonbons ... R, DA, Pro, Kurzfilm, 10 Min.

1970      o.k. (Drehbuch), Internationale Filmfestspiele Berlin 1970

1971      Wer im Glashaus liebt… Der Graben (Kinofilm, Drehbuch), Internationale Filmfestspiele Berlin 1971

1973      Coiffeur ... (R, DA, Pro, Kurzfilm)

1973      Über die Jahre (Dokumentarfilm, unvollendet)

1977      Gefundenes Fressen (Drehbuch)

1980      Sonntagskinder (Drehbuch)

1982      Die weiße Rose (Drehbuch)

1983      Die Spider Murphy Gang (nur Drehbuch)

1986      Killing Cars (Drehbuch)

1990      Das schreckliche Mädchen (Drehbuch)

1995      Mutters Courage (Drehbuch)

2006      Der unbekannte Soldat (Dokumentarfilm)

2008      Menschliches Versagen (Dokumentarfilm)

2011      Die zweite Hinrichtung – Amerika und die Todesstrafe (Dokumentarfilm)

2016      Willkommen bei den Hartmanns als Produzent

Fernsehen:

1970      Der Kommissar: Dr. Meinhardts trauriges Ende

1972      Tatort: Kressin und der Mann mit dem gelben Koffer

1973      Sonja schafft die Wirklichkeit ab oder … ein unheimlich starker Abgang – TV-Film (Drehbuch)

1974      Krempoli – Ein Platz für wilde Kinder (Fernsehserie) (Drehbuch)

1975      Die Herausforderung: Rest des Lebens - TV-Film

1976      MitGift – TV-Film (Drehbuch)

1977      Bier und Spiele (14-teilige Fernsehserie)

1977      Das Männerquartett - TV-Film

1978      1982: Gutenbach – TV-Film

1978      Freundinnen (Fernsehreihe) Folge: Edith und Marlene

1979      Verführungen – TV-Film

1980      Am Südhang – TV-Film (Drehbuch)

1980      Die Ursache – TV-Film (Drehbuch)

1982      Die Mutprobe – TV-Film (Drehbuch)

1983      Liebe Melanie – TV-Film

1984      Das Tor zum Glück – TV-Film

1986      Stinkwut – TV-Film

1986      Gegen die Regel – TV-Film

1987      Gundas Vater – TV-Film

1988      Semmelweis, Ignaz – Arzt der Frauen – TV-Film (Drehbuch)

1989      Die schnelle Gerdi (Fernsehserie) (Drehbuch)

1990      Das Mädchen und die Stadt – TV-Film

1990      Schlaraffenland – TV-Film (Drehbuch)

1992      Lilli Lottofee – Mini-Serie (Drehbuch)

1993      Eine unheilige Liebe – TV-Film (Drehbuch)

1998      George Tabori - Theater ist Leben (TV-Dokumentarfilm)